Der Knollenblätterpilz ist kein Champignon, die Heckenkirsche kein Holunder. Die Pflanzenwelt ist voll von Gattungen, deren Natur höchst unterschiedliche Einordnungs- und Betrachtungsweisen erfordert. Die eine Art giftig und mitunter tödlich, die andere gesund und vitaminreich. Nur gut, dass uns die differenzierte Klassifizierung von Inhaltsstoffen und Spurenelementen davor bewahrt, unsere Welt per se als Gefahrenzone zu begreifen, in der Pilze und Beeren unter Generalverdacht stehen, lebensbedrohlich zu sein.
Doch nichts anderes passiert gerade in der PFAS-Diskussion. Die so genannten „Ewigkeitschemikalien“ sorgen für Katastrophenalarm in den Medien. Die verkürzte und Aufmerksamkeit erhaschende Darstellung der Thematik verfehlt ihre Wirkung nicht: PFAS in Kosmetik, im Mineralwasser, im Blut. Nach Umfragen lehnen drei Viertel der Verbraucher Produkte pauschal ab, die PFA-Substanzen enthalten, ohne zu wissen, dass sie täglich in vielen Bereichen von den Eigenschaften der Kunststoffe profitieren.
Fortschritt für Produkte, die ewig halten müssen
Machen wir uns klar: PFAS zählen zu einer sehr großen Stoffgruppe mit mehr als 10.000 verschiedenen Verbindungen. Nicht jede davon ist schädlich für Mensch und Umwelt. Im Gegenteil: Viele schaffen erst die Grundlage für Sicherheit und Fortschritt in der Welt. Sie verleihen Konsumgütern und Industrieprodukten durch ihre Stabilität und Langlebigkeit einzigartige Eigenschaften. PFAS ermöglichen die Klimawende, schaffen Fortschritt in Medizintechnik und Diagnostik, bringen die Transformation ins E-Mobilitätszeitalter voran. Sie sind in Anlagenkomponenten von Windrädern enthalten, in Herzschrittmachern und Computertomographen, in Produkten, die häufig auch ewig halten müssen.

PTFE-Bearbeitung im 5-Achs-Bearbeitungszentrum (Quelle: IDT)
Ohne per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) lassen sich die Schlüsseltechnologien der Transformation zur Klimaneutralität nicht produzieren und damit die Energie- und Mobilitätswende nicht umsetzen, warnen die drei großen Industrieverbände VDA, VDMA und ZVEI. Das pauschale PFAS-Verbot würde auch die in der Stoffgruppe enthaltenen 38 Substanzen der Fluorpolymere betreffen. Doch ohne Fluorpolymere keine Halbleiterchips, keine Autobatterien, keine Dichtungen für die Produktion von Wasserstoff. Deshalb ist es so wichtig, PFAS differenziert zu betrachten. Nach welchen Kriterien werden sie als umwelt- und gesundheitsschädlich eingestuft? Wie verhalten sich die verschiedenen Stoffgruppen im Laufe ihrer Verwendungszeit, am Ende ihres Lebenszyklus, im Recyclingprozess? Welche Verbindungen sind bereits heute verboten? In welchen Bereichen kann gegebenenfalls auf den Einsatz von PFAS verzichtet werden? Und welche Alternativen gibt es?
So sind einige PFAS wie PFOS und PFOA (beide C8), PFHxS (C6) durch die EU POP-Verordnung vom 20. Juni 2019 bereits umfassend reguliert. Seit dem 25. Februar 2023 sind zudem das Inverkehrbringen, die Herstellung und die Verwendung von perfluorierten Carbonsäuren mit neun bis vierzehn Kohlenstoffatomen (z.B. PFNA, PFDA, PFUnDA) beschränkt. Auch alle CF2 und CF3 Ketten zählen zu den PFAS (z.B. PTFE, eTFE, PVDF, FFKM, FKM). Sie sind von dem Verfahren für eine universelle Regulierung aller PFAS betroffen, das Anfang 2023 bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) angestrebt wurde.
Verschwinden moderne Recyclinganlagen wegen PFAS?
Die Folgen des totalen PFAS-Verbots in der EU wären massiv und die Auswirkungen für Produkte und Wertschöpfungsketten kaum absehbar. Viele Weichen sind bereits gestellt und führen ganze Produktionszweige aufs Abstellgleis: Durch die Schließung der Fluorpolymer-Produktion von Dyneon und Solvay fallen in Europa in kürzester Zeit mehr als 50 Prozent an Fertigungskapazitäten für Fluorpolymere weg. Das betrifft nicht nur die Produktion. Mit der Schließung des Dyneon Werks verschwindet auch eine der modernsten Anlagen für das chemische Recycling.

PTFE-Halbzeuge (Quelle: IDT)
Im Arbeitskreis technische Kunststoffe, der vom VCI begleitet und von IDT initiiert wurde, wirken neben namhafte Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Industrie und des Anlagenbaus auch führende Dichtungs- und Armaturenhersteller mit. Dort untersuchen wir mit Hochdruck Alternativen zu Dyneon-Materialien und erkunden die Bandbreite von Alternativen zu Fluorpolymeren. Ein Ersatz, der die gleiche Beständigkeit und dieselben mechanischen und thermischen Eigenschaften aufweist, ist nicht in Sicht. Und: PFAS-freies PTFE gibt es nicht. Die Konsequenz ist eine Lücke bei den hochleistungsfähigen Dichtungslösungen, die nicht durch jede bereits bekannte Alternative, z.B. Graphit, Fasermaterialien oder Metall, geschlossen werden kann.
PFAS-Tests kosten Zeit und Geld
Im Bereich spezifischer 3M/Dyneon-Materialien wie dem TFM 1600 fehlt schlichtweg eine Spezifikation, die technische Mindestanforderungen beschreibt. Schon bei einem von vielen Fällen müssen also in aufwendigen und kostspieligen Testreihen erst einmal wichtige Parameter festgelegt werden, die ein Ersatzmaterial erfüllen muss. Ein schwieriges Unterfangen, da es viele verschiedene Anwendungsbereiche gibt, die wiederum unterschiedliche Anforderungen haben. Alleine zwischen statischen und dynamischen Anwendungen liegen Welten. Was bei statischen Abdichtungen funktionieren mag, kann zum Beispiel bei Spindelabdichtungen in Armaturen seine Wirkung komplett verfehlen.
Natürlich erforscht IDT den Einsatz alternativer Kunststoffe, die nicht unter die PFAS-Verordnung fallen. Auch hier ist Komplexität ein entscheidender Faktor.
Wie vielschichtig die Suche nach PFAS-Alternativen ist, zeigen drei Beispiele:
- In der chemischen Industrie werden Dichtungen im Temperatureinsatz von 100-200 °C verwendet. Einige Anwender meinen jedoch, PE verwenden zu können. Bei diesem thermoplastischen Kunststoff ist die Einsatztemperatur allerdings auf 80°C begrenzt, ein Einsatz somit nicht möglich.
- Einige Medien wie zum Beispiel Schwefelsäure benötigen einen beständigen Kunststoff. Hier ist derzeit kein Kunststoff bekannt, der als Ersatz herangezogen werden kann.
- In der Dichtungstechnik benötigen wir beständige und anpassungsfähige Kunststoffe. Schaut man zum Beispiel auf PEEK, so ist zwar eine hohe Temperaturbeständigkeit gegeben, als Dichtungsmaterial ist PEEK jedoch viel zu hart, um den technischen Anforderungen zu genügen. Auch ist die universelle chemische Beständigkeit nicht gegeben: Im Kontakt mit Schwefelsäure löst sich der Kunststoff bereits bei Raumtemperatur vollständig auf.

PTFE-Pulver (Quelle: IDT)
Hinzu kommen grundsätzliche Fragestellungen, die über die Verarbeitungseigenschaften und Leistungsfähigkeit von alternativen Werkstoffen unter Betriebsbedingungen weit hinausgehen: Wie steht es um die Verfügbarkeit und Lieferfähigkeit? Welche Prüf- und Testverfahren sind für Betreiber sinnvoll und notwendig? Welche kritischen Medien (z.B. HCl, H2SO4, H3PO4, HF) sind bei den Tests zu berücksichtigen? Und wie ist es möglich, eine allgemeingültige Freigabe für alle Betreiber zu erreichen?
Belastbare Antworten darauf im Rahmen des ursprünglichen ECHA-Zeitplans zu finden, der bereits 2025 zu einem finalen Vorschlag an die EU-Kommission führen sollte, ist illusorisch. Allein die Bewältigung der mehr als 5.500 Kommentare, die innerhalb der Einspruchsfrist bei der EU-Behörde gelandet sind, wird das Verfahren in die Länge ziehen. Realistisch wird es mindestens bis 2028 dauern, um die Regeln für einen PFAS-Ausstieg der EU zu definieren.
PFAS-Unsicherheit begünstigt Abwanderungsgedanken
Der ungewisse Ausgang des PFAS-Beschränkungsverfahrens und der unklare Zeithorizont für eine Entscheidung führen zu erheblicher Planungsunsicherheit bei Unternehmen, insbesondere in der chemischen und pharmazeutischen Industrie. Der von der Wirtschaftskammer Österreich im September veröffentlichte Bericht „Auswirkungen der Einschränkung der Verwendung von PFAS auf die betroffenen Bereiche in Österreich“ zeigt, dass ein Verbot oder eine starke Beschränkung von PFAS ohne die rechtzeitige Verfügbarkeit geeigneter Alternativen die Wettbewerbsfähigkeit dieser und anderer Industrien massiv gefährden würde. Viele Unternehmen stehen vor der Herausforderung, Investitionsentscheidungen treffen zu müssen, ohne zu wissen, ob und in welchem Umfang PFAS zukünftig noch eingesetzt werden dürfen. Die Gefahr, dass Unternehmen aus den großen Industriezweigen Chemie und Automobil ihre Produktion vermehrt in Länder mit laxeren PFAS-Regulierungen verlagern, ist absolut real. Ein solcher Abwanderungstrend wäre für den Wirtschaftsstandort Deutschland katastrophal, da er zu Arbeitsplatzverlusten, einem Abfließen von Know-how und einer Schwächung der Innovationskraft führen würde.
Medialer Katastrophenalarm, der zu einer allgemeinen PFAS-Panik führt, ist in diesem Klima ein denkbar schlechtes Szenario. Im Schulterschluss mit den Mitgliedern des AK technische Kunststoffe, Behörden und Ämtern arbeiten wir bei IDT mit Hochdruck daran, dass Fortschritt nicht zum Rückschritt für Mensch und Umwelt wird. Dafür braucht es nicht nur einen angemessenen Planungs- und Entwicklungshorizont. Ebenso wünschenswert ist eine differenzierte Betrachtung der PFAS-Welt. Denn eins ist klar: Die PFAS-Problematik lässt sich nur durch eine gemeinsame Anstrengung von Behörden, Industrie und Wissenschaft lösen. Nur durch kontinuierliche Forschung, differenzierte Regulierung und die Bereitschaft der Industrie zur Innovation können die ökologischen und gesundheitlichen Risiken von PFAS minimiert und gleichzeitig die wirtschaftlichen Chancen neuer Technologien genutzt werden.
Noch mehr Informationen rund um das Thema PFAS erfahren Sie in unserem exklusiven Podcast. IAD-Chefredakteur Michael Heeg spricht mit Jörg Skoda, Leiter Anwendungs-technik bei IDT, über die aktuellen Entwicklungen. Den Podcast können Sie hier und über Spotify hören.
Autor: Jörg Skoda
Leiter Anwendungstechnik,
IDT Industrie- und Dichtungstechnik GmbH