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„Führung ist für mich keine Rolle nach DIN EN 13555“

Simone Wilson ist geschäftsführende Gesellschafterin des Dichtungsspezialisten IDT. Sie führt die international agierende Unternehmensgruppe in zweiter Generation – mit strategischem Weitblick, klarem Werteverständnis und einem feinen Gespür für Menschen. Im Gespräch mit der IAD erzählt sie, warum Technik nicht ihre erste Heimat war – und was sie schließlich doch in die Dichtungsbranche geführt hat.

von | 26.05.25

Vertrauen in die Mitarbeiter – für Simone Wilson unerlässlich
Quelle: IDT
Vertrauen in die Mitarbeiter – für Simone Wilson unerlässlich

Was fasziniert Sie an der Dichtungsbranche?

Simone Wilson: Das war für mich Liebe auf den zweiten Blick. Ich habe nach einer Ausbildung im Groß- und Außenhandelsmanagement Journalistik und Wirtschaftspsychologie studiert und in den USA lange Zeit im Bereich Marketing und Kommunikation gearbeitet. Dort habe ich meine Affinität für verrückte Ideen, komplexe Themen und die Stories dahinter entdeckt. Heute liebe ich es, andere für die überraschende Vielfalt der Dichtungsindustrie zu begeistern. Unsere Branche vereint Technik und Kreativität – ich sehe mich als Übersetzerin zwischen diesen Welten.

Waren Sie schon als Kind von Technik fasziniert? Wie hat sich das gezeigt?

Simone Wilson: Nein, das kann ich nicht sagen. Ich wollte schon immer Menschen bewegen – nicht Maschinen. Für das, was wir klassisch unter Technik verstehen, fehlt mir einfach die Geduld. Tüfteln an Geräten, an kleinen Teilen, an Hardware. Das war nie meins. Eine große Neugier – die teile ich wahrscheinlich mit technikaffinen Menschen.

Wann hat sich abgezeichnet, dass Sie in dieser Branche ihr Zuhause finden?

Simone Wilson: Man könnte sagen, ich bin in sie hineingeboren. Mein Vater, der die IDT Mitte der 1980er Jahre gegründet hat, hat sein ganzes Berufsleben mit Dichtungstechnik verbracht – allerdings nicht als Ingenieur, sondern als Kaufmann und später Unternehmer. Er ist – bis heute – Vertriebler durch und durch.

Dass ich der Branche eine echte Chance gebe, hat sich erst mit Ende 30 abgezeichnet. Da gab es einen Umbruch in meinem Leben. Ich hatte gerade mein drittes Kind bekommen und stand vor der Frage, wie es für mich beruflich weitergehen soll. Zu der Zeit lebte ich in den USA, hatte an der Universtity of Memphis einen tollen Job – aber keine Perspektive für Weiterentwicklung. Ein Wechsel in die Wirtschaft wäre möglich gewesen, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass sich das mit meiner Vorstellung von Karriere und Muttersein vereinbaren lässt.

Dazu muss man wissen: In den USA gibt es keinen gesetzlichen Anspruch auf bezahlten Urlaub, Mutterschutz oder Elternzeit. Urlaubstage hängen oft von der Betriebszugehörigkeit ab, und auch bezahlte Krankheitstage sind in der Regel limitiert.

Also habe ich gedacht: Wenn mich das Arbeitspensum in der US-Wirtschaft nicht abschreckt, die Flexibilität aber nicht gegeben ist, damit ich Karriere machen und Muttersein kann – warum nicht nochmal einen Blick auf die Dichtungsbranche werfen, auf unser Familienunternehmen, und schauen, ob ich mit meinen Fähigkeiten dort etwas bewegen kann.

Simone Wilson lebte zwischen 2001 und 2012 in den USA. (Quelle: privat)

Simone Wilson lebte zwischen 2001 und 2012 in den USA. (Quelle: privat)

Wie sind Sie Chefin eines Industrieunternehmens geworden?

Simone Wilson: Ganz unspektakulär. Mein Bruder hat die IDT viele Jahre geleitet, musste sich aus gesundheitlichen Gründen aber zurückziehen. Nach meiner Rückkehr aus den USA habe ich zunächst verschiedene Bereiche im Unternehmen verantwortet, bevor ich die Leitung der Gruppe übernommen habe – mit dem Ziel, die IDT als familiengeführtes Unternehmen in die Zukunft zu führen.

Wie hat Ihr Umfeld reagiert?

Simone Wilson: Wenn ich von meinem Umfeld spreche, schaue ich zuerst auf meinen Mann und meine Kinder – und dort hatte und habe ich vollen Rückhalt. Ich muss aber auch ganz klar sagen: Diesen Job könnte ich nicht machen, wenn mein Mann mir nicht den Rücken freihalten und einen großen Teil der Aufgaben übernehmen würde, die klassischerweise Müttern zugeschrieben werden. Ich habe sicher mehr Flexibilität als in den USA, aber die Rahmenbedingungen, um als Mutter Karriere zu machen, sind auch in Deutschland nicht wirklich gegeben.

Haben Sie in dieser Branche Frauen scheitern sehen?

Simone Wilson: Ganz im Gegenteil. Ich sehe viele erfolgreiche Frauen, die ihren ganz eigenen Weg gefunden haben – und das finde ich großartig. Denn den klassischen Karriereweg, auf den man einfach aufspringt, gibt es für uns oft nicht. Wir sind in darauf angewiesen, dass wir selbst an uns glauben – und dass unser Umfeld es auch tut. Und wir brauchen Menschen in der Arbeitswelt, die bereit sind, uns Chancen zu geben. Auf bestehende Strukturen können wir uns nicht verlassen.

Das Bild von Führung ist in vielen Köpfen noch immer männlich geprägt. Frauen, die sich daran messen, geraten nicht selten ins Zweifeln. Deshalb würde ich immer raten: Mach dich frei von diesen Vorbildern – sie müssen nicht deine sein. Es gibt nicht die eine Blaupause. Du kannst dir eine Führungsrolle zu eigen machen und sie gestalten.

Ich fände es sehr schade, wenn Frauen sich durch die Dominanz männlicher Rollenvorbilder davon abhalten ließen, in Führung zu gehen.

Wurden Sie schon einmal abschätzig behandelt?

Simone Wilson: Wenn Sie wissen möchten, ob ich als Frau schon mal Sexismus erlebt habe, dann kann ich das nur mit einem klaren Ja beantworten – sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. Und ich bin nicht so blauäugig zu glauben, dass das in Zukunft nicht mehr vorkommen wird. Das ist mein Alltag als Frau.

Was sich geändert hat, sind meine Strategien im Umgang damit. Es passiert immer noch, dass mich solche Situationen kalt erwischen und ich nicht sofort reagieren kann. Das macht mich wütend. Mittlerweile spreche ich solche Vorfälle aber auch dann an, wenn schon etwas Zeit vergangen ist. Ich nehme Respektlosigkeit – mir oder anderen gegenüber – nicht mehr hin.

Und wie ist man Ihnen in der Dichtungsbranche begegnet?

Simone Wilson: Dort habe ich durchweg positive Erfahrungen gemacht, wurde sehr herzlich und mit offenen Armen aufgenommen, habe viele großartige Menschen kennengelernt, die mir Möglichkeiten eröffnet haben – in einer Branche, in der Frauen immer noch die Ausnahme sind.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Simone Wilson: Einen klassischen Tagesablauf gibt es bei mir nicht – mein Alltag ist eher ein buntes Potpourri aus ganz unterschiedlichen Aufgaben. Als geschäftsführende Gesellschafterin ist es meine Aufgabe, auf der einen Seite die Interessen der Familie zu wahren und auf der anderen Seite Impulse für die strategische Weiterentwicklung unserer Unternehmensgruppe zu setzen. Dazu kommen viele Geschäftsreisen, Branchentreffen und Gremiensitzungen, die meinen Kalender zusätzlich füllen.

Balance zwischen Familie und Beruf: 2012 in Memphis (Quelle: privat)

Balance zwischen Familie und Beruf: 2012 in Memphis (Quelle: privat)

Wie haben Sie sich Fachwissen angeeignet?

Simone Wilson: Ich hatte das große Glück, dass ich in der Anfangszeit ein Büro mit Jörg Skoda, unserem Leiter der Anwendungstechnik, teilen durfte. Daraus ist ein intensiver fachlicher Austausch entstanden, der bis heute anhält. Jörg ist immer bereit, sein Wissen zu teilen – und da wir beide am Standort in Essen sitzen, habe ich ihn zum Glück auch jederzeit griffbereit.

Verfolgen Sie die Diskussion über die Frauenquote?

Simone Wilson: Nein. Allein durch eine Frauenquote verbessern sich Strukturen und Bedingungen nicht automatisch. Im Gegenteil: Es könnte sogar der Eindruck entstehen, dass, sobald wir nur genügend Frauen in Führungspositionen bringen, sich die Dinge schon von selbst zum Besseren wenden. Das empfinde ich als ungerecht – denn es kann nicht allein unsere Aufgabe sein, diese Veränderungen zu tragen.

Inwieweit glauben Sie, dass Geschlechterrollen auch heute noch unsere Wahrnehmung von Fähigkeiten oder Stärken beeinflussen?

Simone Wilson: Menschen haben unterschiedliche Stärken. Das hängt nicht vom Geschlecht ab. Genau darauf sollten wir schauen – alles andere ist doch ziemlich 20. Jahrhundert.

Erleben Sie die Dichtungsbranche bewusst als männerdominiert oder blenden Sie das aus?

Simone Wilson: Die gesamte Industrie ist extrem männerdominiert – da müssen wir nicht nur auf die Dichtungsbranche schauen. Das ist kein subjektives Empfinden, das ist Fakt. Ich blende das nicht aus. Es gehört ebenfalls zu meinem Alltag. Aber ich suche gezielt nach Vorbildern – weiblichen wie männlichen – die mich inspirieren und von denen ich lernen kann.

Welchen Berufswunsch hatten Sie als Kind?

Simone Wilson: Mein ursprünglicher Traumberuf: Ich wollte im Hotel arbeiten, als Concierge. Was mich daran gereizt hat? Die Vorstellung, Menschen nicht nur willkommen zu heißen, sondern ihnen ein Erlebnis zu ermöglichen, das sie so schnell nicht vergessen.

Ein Concierge muss die Stadt wie seine Westentasche kennen, exzellent vernetzt sein und gleichzeitig ein feines Gespür für Menschen haben. Klar, es geht auch um die Klassiker: Restaurants, Museen, Stadtpläne. Aber gerade in gehobenen Häusern zählt oft etwas anderes – das Besondere, das Überraschende. Für ein längst ausverkauftes Konzert doch noch Logenplätze organisieren. Einen Tisch auftreiben, wo offiziell keiner mehr frei ist. Wünsche erfüllen, bevor sie ausgesprochen werden.

Diese Mischung aus Organisationstalent, Menschenkenntnis, Kreativität und echter Dienstleistungsfreude – das hat mich immer fasziniert und begleitet mich bis heute. Denn auch in meiner heutigen Rolle geht es genau darum: Menschen verstehen, vernetzt denken, Dinge möglich machen.

Was sind Die Dos and Don’ts der Branche?

Simone Wilson: Mir fallen keine klassischen Dos and Don’ts ein. Ich glaube, es gibt keine festen Regeln – aber es gibt eine bestimmte Kultur, die man verstehen sollte, wenn man in der Dichtungsbranche unterwegs ist.

Die Branche ist in vielen Bereichen noch sehr konservativ geprägt, und Vertrauen spielt eine große Rolle. Dieses Gefühl von „Ein Wort gilt“ ist hier tatsächlich noch spürbar. Eine gewisse Handschlagsmentalität – vielleicht auch deshalb, weil Kunden und Lieferanten nicht selten in beiden Rollen auftreten. Man ist aufeinander angewiesen. Es zählen Verlässlichkeit, Dialog und gegenseitiger Respekt.

Mit welchen Gedanken und Hoffnung blicken Sie in die Zukunft?

Simone Wilson: Wenn ich heute auf meine Rolle als Frau in der Dichtungsindustrie blicke, dann sehe ich vor allem eins: Gestaltungsspielraum. Führung ist für mich keine Rolle nach DIN EN 13555, sie ist eine Aufgabe, die von Vielfalt lebt. Dafür braucht es vor allem Mut, um den eigenen Stil zu entwickeln – und Menschen, die diesen Weg mittragen. Ich wünsche mir, dass mehr Frauen diesen Schritt wagen. Nicht, um Erwartungen zu erfüllen, sondern weil sie Perspektiven einbringen, die gebraucht werden.

Bildquelle, falls nicht im Bild oben angegeben:

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