Branche
FS Logoi

Neue Methode zeigt, wie statische Dichtungen wirklich altern

Statische Dichtungen für große Anlagen in der Energie- und der Industrietechnik müssen oft mehr als zwanzig Jahre halten. Bisher eingesetzte Berechnungswerkzeuge führen dazu, dass die Bauteile oft größer ausfielen, als es eigentlich notwendig wäre. Freudenberg Sealing Technologies hat jetzt eine Methode entwickelt, die Werkstoffveränderungen auf molekularer Ebene berücksichtigt – und so höhere Zuverlässigkeit bei geringerem Materialeinsatz ermöglicht.

von | 30.05.20

Dichtungen im Anlagenbau müssen eine sehr hohe Lebensdauer aufweisen. Einmal verbaut, etwa um die Verankerung des Turms einer Windkraftanlage auf hoher See gegen eindringendes Salzwasser zu schützen, soll die Dichtung mehr als zwanzig Jahre einwandfrei funktionieren. Die Lebensdauer einer Dichtung wird zum einen durch Setzen oder Dehnen (physische Relaxation) begrenzt. Zum andern verliert der Werkstoff mit der Zeit durch chemische Veränderungen seine Elastizität. Unter Einfluss von Luftsauerstoff oder Ozon sind grundsätzlich zwei Effekte zu beobachten, die die Alterung von Dichtungen beeinflussen: Erstens können die Polymerketten und -netze unter mechanischer Belastung aufbrechen, zweitens können durch Oxidationsprozesse zusätzliche Sauerstoffbrücken in dem Netzwerk entstehen. Beide Effekte beeinflussen wichtige dichtungsrelevante Eigenschaften wie Steifigkeit, Kontaktdrücke oder die Fähigkeit, nach Verformung wieder in die ursprüngliche Kontur zu gelangen („Verformungsrest“).
Extrapolation mit der Arrhenius-Methode
Ob ein Werkstoff die Anforderungen für eine bestimmte Anwendung erfüllt, ermitteln Ingenieure in der Regel durch sogenannte „Lagerungstests“, bei denen der Prüfling für längere Zeit – meist 1.000 Stunden – Temperaturen von deutlich mehr als 100 °C ausgesetzt wird. Um die temperaturabhängige Alterung vorherzusagen, extrapolieren Ingenieure bislang die Messwerte nach einer Methode, die nach dem schwedischen Chemiker und Nobelpreisträger Svante August Arrhenius benannt ist. Für diese gilt als Daumenregel: Eine Erhöhung der Temperatur um 10 °C führt zu einer Verdopplung der Reaktionsgeschwindigkeit. Dies ermöglicht die Durchführung von beschleunigten Alterungstests bei erhöhten Temperaturen. Diese Methode kann zuverlässig funktionieren, wenn die richtigen Prüfparameter gewählt werden. Ansonsten kann die Lebensdauerprognose stark daneben liegen. Überprüfen lässt sich die Prognose nur durch Messungen. Es ist nachvollziehbar, dass dies kein zufriedenstellendes Verfahren ist, insbesondere wenn man über sehr lange Prüfzeiten spricht. Daher war eine Verbesserung der Methodik zwingend erforderlich.
Die Freudenberg-Experten verbesserten das Lebensdauermodell deutlich, indem sie chemische Oxidationsgleichungen, also den Sauerstoffangriff auf das Elastomer, mit dem strukturmechanischen Verhalten des Werkstoffes koppelten. Um mit diesem Modell beliebige Geometrien berechnen zu können, wurde es numerisch effizient umgesetzt und in ein kommerzielles Finite-Elemente-Programm implementiert. Dieses ist nun in der Lage, die lokalen Oxidationsprozesse und deren Auswirkung auf das mechanische Werkstoffverhalten zu berechnen. Gleichzeitig war es aber auch notwendig, die Messmethoden weiterzuentwickeln, mit denen die Parameter für das Werkstoffmodell ermittelt werden – zum Beispiel, um die während des Alterungsprozesses verbrauchte Sauerstoffmenge zu bestimmen. Die Sauerstoffmenge ist eine wesentliche Größe, um das Ausmaß des chemischen Angriffs abzuschätzen.
„Dank der Verbesserung der Messmethoden als auch des Materialmodells und der Anwendbarkeit auf dreidimensionale Bauteile ergibt sich ein präzises Verfahren für die Lebensdauerprognose“, erläutert Dr. Boris Traber, bei Freudenberg Sealing Technologies für die weltweite Material-Vorausentwicklung verantwortlich. Das gemeinsam mit der zentralen Forschung, der Freudenberg Technology Innovation, entwickelte Verfahren wurde zunächst an Werkstoffproben mit unterschiedlichen Durchmessern verifiziert und mittlerweile auch für erste Anwendungen im Bau von Offshore-Windkraftanlagen verwendet. Doch Traber sieht das nur als Beginn einer neuen Simulationsära: „Künftig können wir unseren Kunden im Anlagenbau ein zuverlässiges Mindesthaltbarkeitsdatum auch über sehr lange Zeiträume nennen.“ Eine Bibliothek mit den Modellen für verschiedene Werkstoffe und Bauteil-Geometrien befindet sich derzeit im Aufbau.

Bildquelle, falls nicht im Bild oben angegeben:

Jetzt Newsletter abonnieren

Die wichtigsten Branchen-News, regelmäßig in Ihrem Postfach.

Hier anmelden

PRIMUS Award IAD

PRIMUS Award 2025

Bewerben Sie sich für den Titel „Produkt des Jahres“

Hier anmelden

Dichtungstechnik im Fokus: So war das Dichtungskolloquium 2025
Dichtungstechnik im Fokus: So war das Dichtungskolloquium 2025

Vom 4. bis 5. Juni 2025 wurde das FUNKE Event Center in Essen zum Treffpunkt der deutschen Dichtungstechnikbranche. Das traditionsreiche Dichtungskolloquium, veranstaltet von der Fachzeitschrift Industriearmaturen & Dichtungstechnik (IAD) in Kooperation mit der Fachhochschule Münster, hat sich auch in seiner diesjährigen Ausgabe als zentrale Plattform für den fachlichen Austausch, technische Weiterbildung und zukunftsweisende Entwicklungen etabliert.

mehr lesen
Neue Ventilreihe für den Millibar-Bereich
Neue Ventilreihe für den Millibar-Bereich

Mit der Serie ULTRAVENT stellt WITT eine mechanische Lösung zur Druckregelung von Gasen im Bereich von 5 bis 500 mbar vor. Die Ventile arbeiten ohne Hilfsenergie und lassen sich in verschiedensten Anwendungen einsetzen – etwa zur Druckbegrenzung, Entlüftung oder als Überström- und Regelventil. Auch als Ersatz für Berstscheiben können sie verwendet werden.

mehr lesen

Sie möchten unser Fachmagazin „Industriearmaturen & Dichtungstechnik“ unverbindlich testen?

Bestellen Sie Ihr kostenloses Probeheft

Überzeugen Sie sich selbst: Gerne senden wir Ihnen „Industriearmaturen & Dichtungstechnik“ kostenlos und unverbindlich zur Probe!

IAD 02 2025 Cover Klein